Auf Martha Schlinkert bin ich gestoßen, als ich einen Familiennamen für die Protagonistin des neuen Romans suchte. Sie sollte aus Gelsenkirchen stammen und etwa zu der Zeit gelebt haben wie meine Säuglingspflegerin Anni. Ich habe mich daran erinnert, dass ich als Kind mindestens ein Buch dieser Autorin gelesen habe. Es gibt tatsächlich einen Wikipedia-Eintrag über Martha Schlinkert, die am 24. April 1913 als Martha Galinski in Gelsenkirchen geboren wurde
(ein halbes Jahr vor Herti Kirchner, der Schauspielerin und Schriftstellerin, der ich meinen Roman „Den Traum im Blick“ verdanke 😊 ). Sie hat schon als Kind Geschichten geliebt, aber der Familie fehlte das Geld für Bücher, ihre Mutter war nach dem Tod des Ehemannes, eines Hochofenarbeiters, im Ersten Weltkrieg alleinerziehend und hielt ihre Kinder mit Nachtschichten in einer Fabrik über Wasser.
Ob Martha die 1907 eröffnete Bibliothek in Gelsenkirchen kannte, ist nicht überliefert, jedenfalls erfand sie kurzerhand selbst Geschichten und erzählte diese ihren Freunden bzw. schrieb sie auf, nachdem sie in der Schule schreiben gelernt hatte. Sie hat immerhin – für ein Mädchen ihrer Zeit und ihres Umfeldes eher ungewöhnlich – Abitur gemacht. Ihr Abschluss war so gut, dass ihr Traum, Lehrerin zu werden, mit einem Stipendium hätte in Erfüllung gehen können. Dazu hätte sie jedoch in die NSDAP eintreten müssen, das lehnte sie ab. Stattdessen machte sie nach dem Besuch der Höheren Handelsschule eine Ausbildung als Sekretärin. 1938 heiratete sie den Fabrikanten Josef Erwin Schlinkert und zog zu ihm nach Olsberg. Dort arbeitete sie in der Firma mit, bekam zwei Söhne und verfasste abends ihre ersten Romane „Im Schatten des Schlotes“ und „Die Tochter der Wirkerin“. Ab 1946 schrieb sie unter anderem für die Westfalenpost und die Westfälische Rundschau und Kurzgeschichten für verschiedene Zeitschriften und die Arbeit in Schulen. Ihr erstes Kinderbuch „Die Hütte am See“ erschien 1956, ein Jahr später folgte der erste Band der „Bummi“-Reihe über ein Mädchen, das in den 50er-Jahren in Olsberg im Sauerland aufwächst. Die zehn Bücher, die diese Reihe am Ende umfasste, erreichten eine Auflage von über zwei Millionen Exemplaren. Martha Schlinkert starb nach fast zwanzigjähriger schwerer Krankheit am 30. Juni 1979 in Olsberg, wo man bis heute immer wieder an sie erinnert.
Beim Lesen des Wikipedia-Eintrags hat mich doch sehr irritiert, dass – was ich noch nie sonst gelesen habe – betont wird, dass die Literaturkritik die Bücher wegen ihrer Harmlosigkeit und stilistischen Anspruchslosigkeit zerrissen hätte und sie den Erfolg der Bücher nur vielen Lesungen in ganz Deutschland, dem geringen Preis und dem Verkauf in Kaufhäusern verdankt. Dass sie wohl einfach den Nerv der Kinder getroffen hat, scheint man nicht im Blick zu haben – meinen Nerv hat sie wohl getroffen, sonst könnte ich mich kaum an den Namen erinnern. © März 2024 Dr. Birgit Ebbert www.vergessene-frauen.de – www.birgit-ebbert.de
Beiträge über Martha Schlinkert
olsberg-mittendrin zum 100. Geburtstag 2013
olsberg-mittendrin zum 30. Todestag
Wikipedia-Eintrag über Martha Schlinkert
Zum Foto 🙂 Wie gut, dass ich im letzten Jahr einen Termin in Olsberg hatte und meine Kamera im Auto lag, das Foto hat mit Martha Schlinkerts Leben und Werk nur soviel zu tun, als ein Mädchen darauf zu sehen ist.