Ganz ehrlich, beim Lesen dieses Buches, bin ich aus der Schnappatmung kaum herausgekommen. Unfassbar, wie die Herren Schriftsteller der Gruppe 47 in den 50er- und 60er-Jahren mit Autorinnen umgegangen sind, übrigens nicht nur mit Frauen, sondern auch mit männlichen Kollegen aus dem Exil und der inneren Emigration. Aber Letztere interessieren mich hier nicht, sondern die Schriftstellerinnen, von denen selbst ich noch nichts gehört hatte, obwohl ich literaturaffin bin und gerne nach Büchern von unbekannten Autorinnen Ausschau halte.
Über das Buch von Nicole Seifert
Für das Buch „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinne der Gruppe 47“ hat die Journalistin Nicole Seifert die Protokolle bzw. Unterlagen über die Treffen der Gruppe 47 ausgewertet und darüber hinaus weitere Quellen wie Briefe und Artikel, in denen Treffen erwähnt wurde. Für all jene, die nicht wie ich mit dem magischen Begriff „Gruppe 47“ aufgewachsen sind, eine Erklärung, um wen es sich dabei handelt. Gegründet wurde die Gruppe vom Schriftsteller Hans-Werner Richter und Kollegen, die im Zweiten Weltkrieg als Wehrmachtsangehörige in Kriegsgefangenschaft gerieten und im Lager die Literaturzeitschrift „Der Ruf“ gründeten. Als man wieder zu Hause war, kam die Idee auf, sich regelmäßig zu treffen und Werke vorzulesen, man verstand sich als verschworene Gemeinschaft, die sich dadurch auszeichnete, dass sie Gegner des Faschismus (geworden?) waren. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass in der Gruppe nur Männer waren, unverständlich – zumindest für mich – ist, warum bei der Erweiterung der Mitglieder, Kollegen, die aus dem Exil kamen oder in Deutschland geblieben waren und nicht der Nazi-Ideologie verfallen waren, nicht eingeladen wurden. Wer in diesem erlauchten Kreis lesen durfte, bestimmte vor allem Hans-Werner Richter. Frauen waren bei den Treffen übrigens nicht gänzlich unerwünscht, als Ehefrauen durften sie gerne teilnehmen oder ihr Räumlichkeiten zur Verfügung stellen wie die Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Ilse Schneider Lengyel, die auf diese Weise die Ehre erhielt, am ersten Treffen im September 1947 teilzunehmen. (unter uns: Ich hatte den Namen bis zur Lektüre des Buches noch nicht gehört) Bei den nächsten Treffen waren teilweise einzelne Frauen oder auch gleich zwei Frauen eingeladen, aber sie bildeten immer eine deutliche Minderheit. Dass die Herren, vor allem Herr Richter, zwar einerseits gegen den Faschismus waren, aber andererseits an dessen Rollenbildern festhielten, zeigt der Umgang mit den Partner:innen der Lesenden. Die Ehefrauen waren gerne gesehen, man brauchte ja Publikum, Ehemänner von lesenden Frauen waren jedoch unerwünscht, wie der Gatte von Gabriele Wohmann erleben musste. Ohne Worte, oder? Ich war wirklich entsetzt nach der Lektüre des Buches, dass sich die Autoren der Gruppe 47, die mir in Schulzeit und Studium als der bedeutsamste Literaturverbund vermittelt wurde, bis in die 60er-Jahre derart rückständig über Frauen in der Gesellschaft dachten. Unabhängig von den neuen Autorinnen, die ich beim Lesen entdeckt habe, hat mir der Einblick in die Geschichte und Struktur dieser Gruppe besonders gut an diesem lesenswerten Buch gefallen.
Die Autorinnen der Gruppe 47
Doch nun zum entscheidenden Inhalt des Buches für diesen Blog. Da ich manche Autorin noch wiederentdecken und dann hier vorstellen will, beschränke ich mich hier erst einmal darauf, die Namen der Frauen aufzulisten und – wenn möglich – mit einem Link zu einem weiterführenden Artikel außerhalb des Blogs zu verbinden. Nach und nach werden diese dann ausgetauscht. Aber da das Buch gerade erst erschienen ist, ist es mir wichtig, jetzt darauf hinzuweisen. Hier also die Namen der Frauen, die im Buch erwähnt werden, mit den Lebensdaten.
Ilse Aichinger (1921-2016) (Treffen 1947-1951)
Ingrid Bachér (*1930) (Treffen 1958)
Ingeborg Bachmann (1926-1973) (Treffen 1952)
Elisabeth Borchers (1926-2013) (Treffen 1965/66)
Ingeborg Drewitz (1923-1986) (Treffen 1947-1954)
Gisela Elsner (1937-1992) (Treffen 1962)
Griseldis L. Fleming (*1933) (Treffen 1963/64)
Barbara Frischmuth (*1941) (Treffen 1967)
Barbara König (1925-2011) (Treffen 1960)
Christine Koschel (*1936) (Treffen 1963/64)
Helga M. Novak (1935-2013) (Treffen 1965/66)
Elisabeth Plessen (*1944) (Treffen 1967)
Renate Rasp (1935-2015) (Treffen 1967)
Ruth Rehmann (1922-2016) (Treffen 1958)
Christa Reinig (1926-2008) (Treffen 1963/64)
Inge Schneider-Lengyel (1903-1972) (Treffen 1947)
Gabriele Wohmann (1932-2015) (Treffen 1960)
Fazit zur Lektüre des Buches
Das Buch hat mich wirklich gefesselt, zum Glück hatte ich es Karfreitag begonnen, da war durch die Feiertage Zeit genug, um es am Stück zu lesen 🙂 Aber ich musste Pausen machen, weil ich mich innerlich wirklich aufgeregt habe, wie damals mit dem Frauen umgegangen wurde. Mir ist dabei klar geworden, dass ich es in meiner Sozialisation und im Berufsleben diesbezüglich leicht hatte, bis zu meinem letzten Angestellten-Job. Da schlug plötzlich die volle Härte der patriarchalischen Führungsebene zu. Und wenn ich mich heute in verschiedenen Branchen umsehe und die #metoo-Debatte noch dazu nehme, dann hat sich was geändert, aber wir sind noch längst nich soweit, dass Frauen entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung in Entscheidungsebenen von Politik und Wirtschaft inkl. der Kultur- und Buchwirtschaft vertreten. Es gibt noch immer viel zu tun – das ist übrigens Thema eines anderen Buches von Nicole Seifert (FRauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt), das schon auf meinem Lektürestapel liegt 🙂 © April 2024 Dr. Birgit Ebbert www.vergessene-frauen.de www.birgit-ebbert.de